Störungen im Unterricht
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Plötzlich ist der Materialkasten leer, ein Gewitter im Anmarsch, oder ständiges Gekicher stört das Training. Wir reden von Störungen, wenn unvorhergesehene Situationen die J+S-Aktivität beeinträchtigen, unterbrechen oder gar verunmöglichen. Und auch wenn du dir das vielleicht anders wünschst: Störungen gehören zum ganz normalen Betrieb. Aber indem du gut planst, deine Gruppe präsent führst und stets aufmerksam beobachtest, kannst du sie verringern. Akzeptier Störungen als wichtige Lernfelder, die dich weiterbringen und manchmal sogar die Basis für neue Ideen und Entwicklungen sind.
Störungen verschaffen sich immer Vorrang.
(frei nach Ruth Cohn)
Anerkenne die einzelnen Gruppenmitglieder als Menschen mit Gefühlen und Gedanken, die nicht immer nach Plan funktionieren. Gemäss Ruth Cohns Modell der themenzentrierten Interaktion (TZI) können Störungen auf vier verschiedenen Ebenen entstehen. Versuch bei jeder Störung herauszufinden, auf welcher Ebene sie ihren Ursprung hat und was genau dahinter steckt. Das hilft dir, angepasst auf die Situation zu reagieren.
Fahre mit der Maus über die entsprechenden Begriffe in der Grafik, um mehr zu den vier Ebenen «ES», «ICH», «WIR» und «UMWELT» zu erfahren.
ES– Ziele, Aufgaben:
Sind die Aufgaben klar sowie niveau- und situationsgerecht? Sind sie attraktiv und fordern die Kinder und Jugendlichen ohne zu überfordern?
Ist die Aktivität sinnvoll strukturiert?
Sind die Übergänge zwischen den Aufgaben gut organisiert?
ICH – Individuum:
Welche individuellen Bedürfnisse, Erfahrungen, Gefühle, Gedanken und Handlungen von einzelnen Gruppenmitgliedern sowie mir selbst beeinflussen die Aktivität?
Sind einzelne Kinder oder Jugendliche oder bin ich selbst heute durch persönliche Umstände abgelenkt und unkonzentriert, aggressiv und genervt oder aufgedreht und übermütig?
Sind meine Rückmeldungen motivierend und wertschätzend?
Reagiere ich angemessen auf unvorhergesehene Situationen?
WIR – Gruppe:
Wie beeinflussen der Teamgeist und die Dynamik innerhalb der Gruppe die Aktivität? Fühlen sich alle wohl in der Gruppe?
Helfen und unterstützen wir uns gegenseitig?
Gehen wir respektvoll, fair und wertschätzend miteinander um?
Gibt es unterschwellige Spannungen und Konflikte?
UMWELT – Äussere Rahmenbedingungen:
Stören äussere Faktoren wie z.B. das Wetter, Umgebungslärm oder Zuschauer die Aktivität? Äussere Faktoren kannst du in der Regel nicht ändern, du kannst aber darauf reagieren. Ist deine Gruppe z.B. durch Zuschauer abgelenkt, achte darauf, dass sie diese im Rücken hat, während du etwas vorzeigst oder erklärst.
Je häufiger und gründlicher du deine Aktivität und deinen Umgang mit Störungen reflektierst, umso besser lernst du, mögliche Störquellen bereits im Vorfeld auszuschalten und flexibel zu reagieren.
«Ein Gramm Prävention wiegt mehr als ein Pfund Intervention.»
(Gert Lohmann)
Du kannst Störungen verringern, indem du…
…deine Aktivität sorgfältig und vorausschauend planst und geschickt organisierst. Überleg dir schon bei der Planung, wie du mögliche Störquellen vermeidest, welche herausfordernden Situationen auftreten könnten und wie du damit umgehen willst.
…deine Gruppe präsent und angepasst führst sowie den Betrieb stets aufmerksam beobachtest und laufend an die aktuellen Gegebenheiten anpasst. Pfleg einen wertschätzenden, respektvollen Umgang und schaff ein motivierendes Lernklima, in dem sich alle sicher und wohl fühlen. Konkrete Tipps dazu findest du in den Lernbausteinen «Eine Gruppe sicher und effizient führen» und «Lernförderliches Klima ermöglichen.»
…eine hohe Lern- und Bewegungszeit ermöglichst. Denn «Kinder und Jugendliche, die ich nicht beschäftige, beschäftigen mich!» Hol dir praktische Tipps dazu im Lernbaustein «Hohe Lern- oder Bewegungszeit ermöglichen».
Nimmst du eine Störung wahr, ist es wichtig, dass du Ruhe bewahrst und konsequent eingreifst, ohne dass du überreagierst. Der Ablauf «Beobachten – Beurteilen – Handeln» hilft dir, angemessen auf Störungen zu reagieren.
Verschaff dir neutral und sachlich einen Überblick über die Situation: Was ist passiert? Wer ist betroffen? Besteht Gefahr?
Stell fest, ob Sicherheit und Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen in Gefahr sind. Ist dies der Fall, musst du sofort reagieren. Wenn keine Gefahr besteht, versuch den Grund für die Störung zu erkennen und überleg dir, wie stark sie deine Aktivität beeinträchtigen. Kannst du die Störung beheben und/oder musst du allenfalls die Lektionsziele anpassen?
- Unfall oder Verletzung
- Physische oder psychische Gewalt
- Wetter lässt keine Aktivität zu (wetterabhängige Aktivitäten)
- Trainingsanlage ist besetzt oder geschlossen
- Fehlende Aufmerksamkeit
- Verbale Störungen (Zwischenrufe, Schwatzen)
- Unruhiges, aggressives oder unsoziales Verhalten
- Nicht-Einhalten von Regeln
- Kurzfristige Absagen von Kindern und Jugendlichen
Keineswegs musst du die Störung immer zum Thema machen. Bei kleinen bis mittleren Störungen helfen oft bereits kleine Veränderungen: Pass die Aufgabe oder die Spielregeln an, stell die Teams neu zusammen, positionier dich anders oder tausch das Material aus. Auch vermehrter Augenkontakt oder ein kurzes Schweigen bis Ruhe einkehrt können helfen. Je nach Situation hilft auch etwas Humor. Dein Ziel: Die Aktivität soll möglichst reibungslos weiterlaufen.
Wird es nötig, eine Störung direkt anzusprechen, ist es wichtig, dies auf eine wertschätzende Art zu tun. Überleg dir, ob du sie mit der Gesamtgruppe, einer Teilgruppe oder einzelnen Personen thematisieren willst. Du kannst z.B. an eine vereinbarte Regel und die Konsequenzen erinnern oder das Problem gemeinsam mit der Gruppe analysieren. Dabei helfen gezieltes Nachfragen und Ich-Botschaften wie z.B. «das irritiert mich» oder «das verstehe ich nicht». Wichtig ist, dass du fair und konsequent handelst, ruhig und gelassen bleibst und deine eigenen Emotionen unter Kontrolle hast.
Behalt stets die ganze Gruppe im Auge: Die Sicherheit aller muss gewährleistet sein. Die Gruppe soll während eines Unterbruchs wenn möglich selbständig weiterüben oder -spielen. Hierzu helfen vorher eingeübte, ungefährliche und einfach umsetzbare Überbrückungsspiele mit wenig Platz- und Materialbedarf.
Merk dir:
- Ist das physische oder seelische Wohl von Gruppenmitgliedern gefährdet, musst du sofort handeln!
- Bei Aggressionen und Gewalt musst du zwingend eingreifen! Der Opferschutz hat dabei oberste Priorität.
- Bei einem Unfall: Unfallstelle sichern, erste Hilfe leisten, alarmieren (112 / 144).
Verhalten sich einzelne Kinder oder Jugendliche wiederholt herausfordernd, versuch, die Gründe für das Verhalten zu klären. Hol dir Hilfe bei erfahrenen Leitenden oder deinem J+S-Coach, wenn das Gespräch mit den Betreffenden keine Besserung bringt oder du unsicher bist. Könnte die Ursache vielleicht eine Beeinträchtigung oder ein Handicap sein oder tieferliegende Gründe haben, kann ein Gespräch mit den Eltern oder Bezugspersonen helfen.
Im J+S-Modul «Sport und Handicap» lernst du Hilfreiches über den Umgang mit physischen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen.
Hast du das Gelesene verstanden und weisst, wie du bei einer nächsten Störung in deiner J+S-Aktivität reagieren kannst?
Schau dir nochmals das Intro-Video an und überleg dir dann anhand des «Beobachten-Beurteilen-Handeln»-Schemas, wie du auf diese Störung reagieren würdest.
Wichtig: Jede Leiterperson nimmt Störungen unterschiedlich wahr. Entscheidend ist, dass der Trainingsbetrieb möglichst rund läuft, alle von einer hohen Bewegungszeit profitieren und sich wohl und sicher fühlen. Ein Patentrezept gibt's nicht - bleib also flexibel und mach das Beste aus jeder Situation.