Swiss Cycling und J+S setzen bei der Leiter/-innen-Ausbildung auf die polycyclide Philosophie. Was steckt eigentlich hinter diesem Begriff, und sollten sich Kinder und Jugendliche nicht nur auf eine Sportart konzentrieren? Es ist verlockend, sich vorzustellen, dass eine frühe Spezialisierung im Kindesalter die Erfolgschancen in der Elite-Kategorie maximal steigert. Die aktuellen Kenntnisse der Sportwissenschaft teilen diese Meinung nur bedingt. Gerade für Ausdauersportarten ist dies nicht gegeben. Die Forschung empfiehlt darum im Kindes- und frühen Jugendalter eine vielseitige sportliche Ausbildung. Diese führt zu erfolgreichen und lebenslang Sporttreibenden.

Du lernst in diesem Lernbaustein die Gründe kennen, weshalb das so ist. Zudem hilft er dir, um die Hintergründe des Manuals «Mountainbike, Strasse, Bahn, Radquer» zu verstehen.

Verschiedene Radsportarten bringen eine willkommene Abwechslung ins Training mit Kindern und Jugendlichen. Die erlernten Fähigkeiten in anderen Radsportarten anzuwenden, motiviert sie, Neues zu lernen. Das Mountainbike eignet sich hervorragend zum Kennenlernen und Ausüben anderer Radsportarten.

Kinder und Jugendliche erwerben bereits in jungen Jahren eine Vielzahl grundlegender Bewegungsabläufe. Durch das regelmässige Üben vielfältiger Bewegungen bilden sich starke Verknüpfungen in ihren Hirnen. Dies fördert eine gute Bewegungskoordination, welche die Grundlage für das Erlernen fortgeschrittener und spezifischer Techniken und Bewegungsabläufe bildet. Je grösser das erlernte Bewegungsrepertoire ist, desto leichter können neue Bewegungen oder gar eine neue Sportart erlernt werden. Durch eine hohe Bewegungsvariation werden repetitive, monotone Bewegungen reduziert und damit das Verletzungsrisiko verringert.

In Sportarten, in denen Spitzenleistungen erst nach der Pubertät erreicht werden, empfiehlt die Sportwissenschaft eine frühe Diversifizierung in Verbindung mit einer späten Spezialisierung in der Zielsportart. So können junge Athlet/-innen viele Sportarten entdecken (breites Bewegungsrepertoire) und sich in einem positiven Umfeld körperlich, kognitiv und sozial entwickeln sowie eine intrinsische Motivation aufbauen. Diese nachhaltige Athletenausbildung verhindert körperliche Überlastung und minimiert (letztlich) Drop-Outs. Neben einer frühen Diversifizierung führt eine späte Spezialisierung zu einer besseren Passung zwischen Talent und Zielsportart.

Die Kinder und Jugendlichen entwickeln dank einer breitgefächerten Ausbildung unterschiedliche Kompetenzen. Auf der Bahn trainieren sie taktische Systeme und Positionsfahren, welche auch für den Mountainbike-Sport gewinnbringend sind.

Swiss Cycling setzt auch beim U17-Nationalteam auf eine vielseitige Ausbildung. Die Teammitglieder profitieren von einem umfassenden Training, in dem sie alle wichtigen Kompetenzen und Bewegungen der vier Radsportarten erlernen. Viele Inhalte werden dabei auf dem Mountainbike erlernt, sei das im Gelände, auf einer Tartanbahn oder auf der Strasse.

Sportler/-innen, die eine polycyclide Ausbildung genossen haben, können ihre Fähigkeiten, ihr Wissen und ihre Leistungen leichter auf andere Radsportarten übertragen. Ein Transfer in eine andere Sportart oder eine Verwendung in mehreren Sportarten wird somit möglich. Somit kann ein/-e Sportler/-in leichter und mit intakten Erfolgschancen von einer Radsportart in eine andere wechseln. Das verlängert die Chance, dass ihre/seine Motivation erhalten bleibt. Daher ist es wichtig, dass sich die Einstellung weg von «Ich bin ein/-e Mountainbiker/-in» hin zu «Ich bin ein/-e Radsportler/-in» bewegt.

Die Kinder und Jugendlichen erwerben mit dem Mountainbike Kompetenzen und Bewegungen aus allen vier Radsportarten. In der J+S-Grundausbildung lernst du, wie du deine Aktivität polycyclide gestalten kannst.

Als Einstieg in das Thema werden hier die sieben Erscheinungsformen (Bewegungs- und Verhaltensmuster) der polycycliden Radsportarten vorgestellt.

Diese Philosophie begleitet dich auf deinem Weg als Leiter/-in Mountainbike, Strasse, Bahn, Radquer während der gesamten J+S-Aus- und Weiterbildung. Das beginnt bereits in der Grundausbildung: Diese findet auf dem Mountainbike statt, auch wenn du zum Beispiel vom Strassenradsport kommst und dort als Leiter/-in tätig sein möchtest.

Deshalb ist es wichtig, dass du diese Philosophie schon vor der J+S-Grundausbildung verstehst. Die Kinder und Jugendlichen lernen in einem ersten Schritt das Velofahren, entwickeln alle notwendigen Fertigkeiten und Bewegungsabläufe auf dem Velo, um diese in einem zweiten Schritt auf dem Mountainbike zu vertiefen und so Erfahrungen in allen polysportiven Radsportarten zu sammeln.

In der Grundausbildung lernst du im Kapitel «Good Practice» des Manuals «Mountainbike, Strasse, Bahn, Radquer» viele Trainingsformen kennen, die dir helfen, die polycyclide Philosophie in deinem Training umzusetzen.

Wie kannst du als Velofahrer/-in von dieser Philosophie profitieren? Wie würdest du als angehende/-r Leiter/-in diese Philosophie in deinem Training umsetzen? Kennst du bereits einige polycyclide Übungen?
Schau dir die beiden Videos an und mach dir schon mal ein paar Gedanken zu diesen Fragen, damit du sie im Kurs behandeln kannst.

Inzwischen solltest du eine gute Vorstellung davon haben, was die polycyclide Philosophie ist und warum sie für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wichtig ist.

Nimm dir etwas Zeit, um dein neu erworbenes Wissen auf dich selbst anzuwenden:

• Wie wendest du die polycyclide Philosophie an?
• Wie kannst du die polycyclide Philosophie in Zukunft in deinem Verein umsetzen?
• Kannst du dir vorstellen, dass es auch kritische Stimmen zur polycycliden Philosophie gibt?
• Mit welchen Argumenten würdest du begründen?
• Fallen dir noch weitere Argumente, die für die polycyclide Ausbildung sprechen, ein?